Maria Berger

(geb. Leopoldsberger)

 

19.12.1866 – 25.08.1942

sie stirbt drei Monate nach ihrer Entlassung aus der Haft – vermutlich als Folge der schwierigen Bedingungen im Gefängnis

Nicht einmal ansatzweise objektiv berichtet die Linzer Tagespost vom 5.12.1940 über einen Prozess vor dem Landesgericht Linz. Unter der Überschrift „Die Zeugen Jehovas“ erfährt der Leser unter anderem:

„Eine eifrige Glaubensschwester, ein altes Weiblein, meint, sie anerkenn nur die Gesetze, die nicht im Widerspruch zur Bibel stehen“. Die wenig schmeichelhafte Anrede „altes Weiblein“ benutzt der Journalist für Maria Berger, die zu diesem Zeitpunkt schon 74 Jahre alt ist.

 

Wie konnte es dazu kommen? Und warum macht man überhaupt einer einfachen, im Alter so weit fortgeschrittenen und bisher völlig unbescholtenen Frau den Prozess? Das zeigt uns der folgende Lebensbericht von Maria Berger.

 

Kindheit, Jugend und Ehejahre

Maria wird am 19. Dezember 1866 als neuntes und letztes Kind der Bauersleute Jakob und Elisabeth Leopoldsberger in Finkelham, Bezirk Grieskirchen geboren. Sie besucht bis zu ihrem 14. Lebensjahr die Volksschule in Wallern, nach ihrem Schulaustritt ist sie – wie damals üblich – bei einigen Bauern als Dienstmagd beschäftigt.

 

Im Jahr 1886 heiratet sie den Rossknecht Josef Berger, bleibt jedoch auch während der Ehe weiter in bäuerlichen Diensten. Am 6. August 1924 – ihr Ehemann ist zu diesem Zeitpunkt schon verstorben – übersiedelt sie von Steinhaus nach Wels, Salzburger Straße 47.

 

Kontakt mit Jehovas Zeugen

Im Jahr 1929 lernt Maria Egmund Stadtegger kennen, der in den Jahren 1930/31 einige Zeit im Haus auf demselben Gang wie sie wohnt. Er unterhält sich mit ihr über die Bibel, außerdem erzählt er ihr von den Zusammenkünften von Jehovas Zeugen – damals Internationale Bibelforscher-Vereinigung (IBV) genannt – die im Gasthaus

„Zur Stadt Passau“ in Wels, Schubertstraße 2, stattfinden. Meist sind dort zwischen 20 und 30 Personen anwesend. Maria und ihre Tochter Rosa Gumpelmayr besuchen in der Folge öfter die Versammlungen, lesen und besprechen zusammen mit Stadtegger die Bibel und bestärken sich gegenseitig in ihrem neuen Glauben.

 

Am 4. Februar 1932 tritt sie „aus innerlicher Überzeugung“ aus der evangelischen Kirche aus und lässt sich bald darauf als Zeugin Jehovas taufen. Die Taufe erfolgt in der Badewanne in der Wohnung von Anna Zötl. Diese ist die Schwiegermutter von Egmund Stadtegger und wohnt in Wels in der Herzog Friedrich Straße (wurde 1958 in Kolpingstraße umbenannt). Als Täufer fungiert August Kraft, Gruppendiener von Jehovas Zeugen von Österreich.

 

Egmund Stadtegger ist bei den Versammlungen bis 1934 für den Büchertisch zuständig, das Hauptlager der Bücher ist bei ihm zu Hause in der Alois-Auer-Straße 16.

 

Er gibt zwar später gegenüber der Gestapo an, dass es 1934 aufgelöst worden sei, leitet aber noch bis Mai 1940 Schriften an seine Schwiegermutter und andere Glaubensbrüder – so auch an Maria Berger – weiter mit dem Auftrag, sie ihm nach dem Lesen entweder zurückzugeben oder zu verbrennen.

 

Nach dem Tod ihrer Tochter Rosa Gumpelmayr erbt Maria deren Haus in Wels, Salzburger Straße 47, das jedoch ziemlich verschuldet ist. Sie entschließt sich daher, es zu verkaufen, macht dabei aber zur Bedingung, dass sie bis zu ihrem Lebensende dort wohnen darf. Außerdem vereinbart sie mit dem neuen Besitzer, sich als Hausbesorgerin um das Haus zu kümmern. Dadurch hat sie neben ihrer Kleinrente ein kleines Einkommen, das ihr das Überleben sichert.

 

Vom Verkaufspreis deckt sie laut ihren eigenen Angaben die Schulden für das Haus, den verbleibenden Rest schenkt sie ihrem Sohn Franz Berger, Landwirt in Pellendorf Nr. 2 in Kematen an der Krems, zur Anschaffung landwirtschaftlicher Geräte. Sie bekommt in der Folge auch einige Male Steuerrückzahlungen vom Finanzamt ausbezahlt. Sie behauptet zwar später gegenüber der Gestapo, diese Gelder ebenfalls ihrem Sohn gegeben zu haben, räumt aber gleichzeitig ein, bis 1936 Spenden für „das Werk des Herrn“ gegeben zu haben.

 

Während der NS-Zeit

Aufgrund des Verbots von Jehovas Zeugen in Österreich (1934/35) ist es nicht mehr möglich, sich weiter im Gasthaus „Zur Stadt Passau“ zu treffen, die Zeugen Jehovas lesen und erörtern die Bibel und die Schriften, die sie aus der Schweiz und später aus Wien zugesandt bekommen, in privatem Rahmen. Maria Berger ist daher oft mit Anna Zötl und dem Ehepaar Stadtegger zusammen und feiert auch das jährliche Gedächtnismahl mit ihnen.

 

Der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich am 11. März 1938 verschärft die Lage von Jehovas Zeugen weiter. Alle Gesetze, die in Deutschland nur schrittweise in Kraft getreten sind, kommen in Österreich zu rascher Gültigkeit. Damit können politische Gegner und Jehovas Zeugen in „Schutzhaft“ genommen und auch ohne gerichtliche Verurteilung in Konzentrationslager eingeliefert werden. Den Behörden fallen Jehovas Zeugen auch deshalb auf, weil sie nicht an der Volksabstimmung teilnehmen, die die Nationalsozialisten am 10. April 1938 im gesamten Deutschen Reich zur nachträglichen Legitimierung des Anschlusses abhalten.

 

Am 8. April 1940 wird Maria Berger erstmals vor der Gestapo Linz verhört. Sie nennt dabei nur wenige Namen von Glaubensbrüdern. Diese sind den Behörden aber ohnehin schon bekannt. Weitere kenne sie nicht. Bibelforscherschriften habe sie nie erhalten, nur immer die Bibel gelesen. Zusammenkünfte oder Bibelstunden außerhalb ihrer Wohnung habe sie auch nie besucht. Es sei ihr natürlich bekannt, dass die Betätigung für die IBV verboten ist, trotzdem habe sie noch im Jahr 1939 die Bibelforscherfamilie Mattischek mit einem Geldbetrag unterstützt, weil sich Wolfgang Mattischek und drei seiner Söhne wegen Betätigung für die IBV in Haft befunden hätten und es der Theresia Mattischek sehr schlecht gegangen sei. Sie habe Frau Mattischek aus dem Grund unterstützt, „weil es meine Pflicht ist und in der Bibel steht „Glückselig der Mensch, der den Armen hilft“. Selbstverständlich aus dem überwiegenden Grund, weil es sich um eine Bibelforscherfamilie handelt.“ Sie gibt weiters an, nicht mit dem Deutschen Gruß zu grüßen und die Gesetze nur insofern anzuerkennen, als sie nicht mit den Bibelgesetzen in Widerspruch stünden. Danach unterschreibt sie eine Erklärung, wonach sie mit den strengsten staatspolizeilichen Maßnahmen zu rechnen hat, falls sie sich weiterhin für die IBV betätigt, und verpflichtet sich, Personen, die werbend für die IBV an sie herantreten oder IBV-Schriften verbreiten unverzüglich zur Anzeige zu bringen. Diese Erklärung mag im ersten Augenblick überraschen, sie nutzt jedoch damit – wie auch einige andere Glaubensbrüder – ein Schlupfloch in der damaligen Gesetzeslage.

 

Ein neuer Name

Am 26. Juli 1931 hatten die Internationalen Ernsten Bibelforscher bei einem Kongress in Columbus (Ohio, USA) vor einem Publikum von mehr als 15.000 Menschen den Namen „Jehovas Zeugen“ angenommen. Joseph F. Rutherford, damals Präsident der Watch Tower Bible and Tract Society, hatte eine historische Resolution mit dem Titel „Ein neuer Name“ zur Annahme vorgelegt. Darin hieß es: „[Wir] wünschen, unter folgendem Namen bekannt zu sein und also genannt zu werden: Jehovas Zeugen.“ Das Publikum reagierte mit einem lauten, klaren Ja, gefolgt von stürmischem Applaus.

 

Ein Teil des Programms wurde von über 450 Radiosendern weltweit übertragen, noch nie zuvor hatten so viele Rundfunkstationen in aller Welt dasselbe Programm gesendet. Das ist nun bereits fast neun Jahre her, muss also auch den zuständigen Behörden im Deutschen Reich bekannt sein. Trotzdem hinkt die Rechtsprechung nach: Jehovas Zeugen sind noch nicht ausdrücklich verboten, die Zugehörigkeit zur Internationalen Bibelforscher-Vereinigung aber schon. In der Erklärung, die sie abgibt, distanziert sich Maria nachdrücklich von der IBV. Einerseits macht sie sich damit keiner Lüge schuldig, andererseits besteht dadurch kein Grund, sie möglicherweise in Schutzhaft zu nehmen.

 

Im Februar 1940 wird Ernst Bojanowski, ein Missionar von Jehovas Zeugen aus Deutschland, der im Frühjahr 1938 einige Wochen bei den Stadteggers gewohnt hat, in Dresden festgenommen. Anlässlich seines Verhörs durch die Gestapo gibt er Details im Zusammenhang mit der Organisation von Jehovas Zeugen preis, was zur Folge hat, dass im Juni 1940 ein Erlass des Reichssicherheitshauptamtes eine reichsweite Verhaftungswelle anordnet, bei der „alle Angehörigen der IBV, sowie alle in dieser Bewegung tätigen als auch als Bibelforscher bekannten Personen in Schutzhaft zu nehmen“ sind – Frauen explizit eingeschlossen.

 

Verhaftung, Verurteilung und Haft

Am 12. Juni 1940 schlägt die Gestapo zu. 130 Wohnungen in Oberösterreich und im Sudetengebiet werden durchsucht. Allein in Oberösterreich werden 27 Zeugen Jehovas festgenommen, die dürftigen Beweise lassen jedoch nur in 17 Fällen eine Anklage zu. Unter den Festgenommenen sind auch Egmund Stadtegger und Maria Berger, die noch am gleichen Tag einvernommen wird. Sie bestreitet, Spenden für das Werk geleistet zu haben, mit ihrer Kleinrente von monatlich RM 10,00 und ihren Einkünften als Hausbesorgerin in Höhe von RM 30,00 bis RM 40,00 hätte sie gerade das zum Leben Notwendige, es sei ihr aber nicht möglich, davon Spenden zu geben. Nach Ernst Bojanowski gefragt, bestreitet sie, ihn zu kennen. Von wem sie die vier bei ihr vorgefundenen Schriften erhalten habe, wisse sie nicht mehr, sie habe sie seit längerem in ihrer Wohnung verwahrt. Sie erklärt nochmals, dass sie sich für die IBV nicht mehr betätige, jedoch weiterhin überzeugte Anhängerin Jehovas bleibe.

 

Danach wird sie in Schutzhaft genommen und ins Polizeigefängnis Wels gebracht, am gleichen Tag um 18:00 Uhr jedoch noch einmal vorgeführt. Sie gibt nun zu, die Schriften von Egmund Stadtegger erhalten zu haben, sie habe in diesem Zusammenhang jedoch nicht gegen ihre Erklärung vom 8.April 1940 verstoßen, weil sie die Schriften zu diesem Zeitpunkt bereits in ihrem Besitz gehabt hätte. Sie nimmt zur Kenntnis und bestätigt mit ihrer Unterschrift, dass sie bei einem neuerlichen Verstoß gegen diese Erklärung ohne Rücksicht auf ihr Alter mit den strengsten staatspolizeilichen Maßnahmen zu rechnen habe. Nur mit Rücksicht auf ihr hohes Alter würde von einer weiteren Schutzhaftnahme Abstand genommen. Unmittelbar danach wird sie wieder auf freien Fuß gesetzt.

 

Am 24. September 1940 wird Maria Berger zusammen mit sechzehn weiteren Zeugen Jehovas des Verbrechens nach § 3 Abs. 1 der Verordnung zur Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des deutschen Volkes v. 25. Nov. 1939 RGBl 1, S 2319, angeklagt.

 

Hinter diesem sperrigen Begriff verbirgt der Anklageschrift: „Für den unter Anklage gestellten Tatbestand genügt zur Verwirklichung bereits die Bekundung der besonderen ideologischen Einstellung gegen Wehrpflicht und Wehrkraftmachung des deutschen Volkes. Ein besonderer organisatorischer Zusammenhalt ist nicht erforderlich. Jeder, wenn auch noch so lockere Zusammenschluss, der eine wehrfeindliche Einstellung pflegt, reicht hin, somit auch die von den Beschuldigten aufrechterhaltene Verbindung, an der sie teils mehr, teils weniger teilgenommen haben. Ihre Einstellung ist nicht nur wehr- sondern im Grunde auch staatsfeindlich.“ Die Gründe für die Anklage mögen uns heute in Anbetracht der drohenden Strafen als lächerlich, ja als geradezu absurd erscheinen:

Am 4. Dezember 1940 wird sie im Sinne der Anklage schuldig gesprochen und trotz ihres Alters von 74 Jahren zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Aus dem Zeitungsbericht zu diesem Prozess stammen auch die Worte, die wir schon in der Einleitung kennengelernt haben. Maria Berger verbüßt ihre Strafe im Landesgerichtlichen Gefangenenhaus Wels von 26. November 1941 bis 26. Mai 1942.

Sie stirbt im Alter von 76 Jahren am 25. August 1942, also nur drei Monate nach ihrer Entlassung aus der Haft. Mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Zufall, sondern eher eine Folge der schwierigen Bedingungen im Gefängnis. Sie hält bis zuletzt mit voller Überzeugung an ihrem Glauben fest. Interessant ist, dass das Urteil bereits am 8. August 1946 – also sehr rasch – aufgehoben wurde.

Wie sollen wir uns nun Maria Berger vorstellen? Stur und verbittert? Das Foto aus der Kartei der Gestapo könnte das fast vermuten lassen. Das harte Leben hat seine Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen. Und doch verbirgt sich hinter dieser spröden Fassade eine herzliche, liebenswerte und hilfsbereite Persönlichkeit. Lassen wir dazu Friederike Schwarzenbrunner zu Wort kommen. Sie ist die Tochter von Regina Humer, einer am 20. Juli 1986 verstorbenen Zeugin Jehovas aus Wels. Regina lernte die biblischen Lehren durch Maria Berger kennen und wurde regelmäßig von ihr besucht.

Friederike erinnert sich, dass ihre Mutter sehr oft und immer nur gut von Maria gesprochen hat. Sie beschreibt sie als gütig und außergewöhnlich freundlich.

Wie heißt es so schön: „Beurteile ein Buch nicht nach seinem Umschlag“ – im Fall Maria Berger trifft das auf jeden Fall zu!

 

Anmerkung:

„Die Angeklagten haben dadurch, dass sie in Oberdonau und an anderen Orten bis Ende Juni 1940 sich als Zeugen Jehovas bekannten, ihrer Lehre nachlebten und untereinander die Verbindung als Glaubensgemeinschaft aufrechterhielten, sowie dadurch, dass…

2.) Maria Berger und Anna Zötl

a)           im Winter 1939/40 in Ottnang die Bibelforscherfamilie Mattischek mit Geldbeträgen unterstützte,

b)           bis Mai 1940 in Wels von Stadtegger Edmund Andreas mehrere Schriften der IBV darunter die zu 1.)b) genannten, bezogen und bei Zusammenkünften mit Stadtegger die Bibel lasen und nach den Lehren der IBV erörterten;

an einer wehrfeindlichen Verbindung teilgenommen bzw. sie unterstützt.“

Verein zur Rehabilitierung und Unterstützung von Opfern der NS-Zeit - beschäftigt sich seit 1998 mit der Dokumentation und Aufarbeitung des Schicksals unschuldiger Opfer.

ZVR-ZL: 848 301 405

 

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